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Stadträte pochen auf ihre Entscheidungsgewalt

bnn46

30. Juli 2008

 

Stadträte pochen auf ihre Entscheidungsgewalt

Heroin-Modell genießt weiter Unterstützung aller Fraktionen / Debatte soll nach der Sommerpause kommen

Bürgermeister will „verantwortbaren Weg“ suchen
 

Von unserem Redaktionsmitglied Kirsten Etzold
Aus dem Modell, schwerstabhängige Drogenabhängige mit synthetischem Heroin zu behandeln, will Karlsruhe als erste von sieben deutschen Städten aussteigen – doch unisono pochten gestern die Gemeinderatsfraktionen auf ihr Recht, über die Fortführung des Projekts in der Fächerstadt zu entscheiden. (Siehe auch Seite 1, Kommentar auf Seite 2, Südwestecho und nebenstehende Chronologie).
Die schärfste Kritik äußerte Johannes Jung, Karlsruher Bundestagsabgeordneter, Kreisvorsitzender der SPD und Vorstandsmitglied der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Karlsruhe. Er sehe „perverse Züge“ in der städtischen Finanzpolitik, die Millionen an Steuergeld für VIP-Parkplätze in einem neuen Fußballstadion flott mache, während das Heroinprojekt, bei dem es um Menschenleben gehe, „kaputtgespart“ werde. Sozialbürgermeister Harald Denecken kündigte währenddessen an, mit der Awo, die das Projekt in ihrer Ambulanz umsetzt, werde ein „verantwortbarer Weg“ gesucht, dann sei der Gemeinderat am Zug.
Die Rathausspitze setze mit ihrer Absicht, die städtische Finanzierung zu beenden, „ein Signal“, sagte Karlsruhes Drogenbeauftragter Rainer Blobel den BNN gestern auf Anfrage. Es gebe zu viele offene Fragen, da das Bundesgesundheitsministerium das Ende der Modellphase erklärt habe und jede Mitfinanzierung ab 2009 ablehne. Im Gemeinderat stehe jetzt die Debatte an „über alles, was Karlsruhe betrifft.“ Die Kosten dieses Jahres, knapp 360 000 Euro, trägt die Stadt bereits erstmals allein; insgesamt brachte sie seit dem Start fast 2,5 Millionen Euro auf. Der Bund zahlte in sechs Jahren 370 000 Euro Zuschuss. Knapp 400 000 Euro pro Jahr würde Karlsruhe die weitere kontrollierte Abgabe des synthetischen Heroins Diamorphin an die aktuell 18 Teilnehmer des Projekts kosten, schätzt Blobel; 35 der anfangs 48 Patienten würden inzwischen ohne Diamorphin therapiert. Ins Projekt aufgenommen wurden nur langjährig Abhängige mit gleichzeitiger psychischer und körperlicher Erkrankung.
„Die CDU-Fraktion hat sich immer ganz klar hinter das Projekt gestellt“, sagte gestern die CDU-Fraktionsvorsitzende Gabriele Luczak-Schwarz. Ihre Fraktion gehe davon aus, das Thema nach der Sommerpause zu diskutieren. „Kosten werden nicht der alleinige Ansatzpunkt sein“, kündigte sie an. Den „Alleingang“ der Stadtverwaltung kritisierte SPD-Fraktionsvorsitzende Doris Baitinger. Städtische Mittel müssten zur Fortführung nur in gleicher Höhe eingestellt werden wie im laufenden Jahr. Das werde die SPD beantragen. Das Finanzargument sei unglaubwürdig: Die Stadt habe jüngst ein sechstes Dezernat und eine zweiten Geschäftsführerposten bei der Messe eingerichtet, das koste zusammen etwa doppelt so viel wie das Heroin-Modell.
Die Grünen-Fraktion kritisiert die „verheerende Botschaft“ für Patienten und Awo und will das Projekt fortsetzen. Der sozialpolitische Sprecher Michael Borner sagte: „Das Land kann durchaus Verantwortung tragen.“ Eberhard Fischer (Karlsruher Liste) sagte: „Das Projekt kann man nicht einfach sterben lassen.“ Während eines Übergangs zu einer dauerhaften Lösung müsse die geschaffene Struktur erhalten werden. Die Geschäftsführerin der FDP-Fraktion, Barbara Kofler, fragte: „Woher nimmt die Verwaltung die Erkenntnis, dass für eine Fortführung keine politische Mehrheit zu finden sei?“ Es müsse „zur Kenntnis genommen werden, dass die Folgekosten der Beschaffungskriminalität und der gesundheitlichen Begleiterscheinungen bei weitem die Projektkosten übertreffen“. Auch die Karlsruher „Linke“ fordert die weitere Finanzierung der Diamorphin-Abgabe.

 

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