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Karlsruher Politiker suchen Schuldige

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29. Juli 2008

 

Heroinprojekt vor dem Aus

Karlsruher Politiker suchen Schuldige

Karlsruhe - Wie Sozialbürgermeister Harald Denecken (SPD)am Montag, 28. Juli, bekannt gab, wird die Stadt Karlsruhe voraussichtlich aus dem mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO)Karlsruhe seit 2002 gestemmten Heroinmodellprojekt aussteigen. Im Zuge des Modellversuchs, der auch in sechs anderen Städten durchgeführt wird, wurden Schwerstabhängige mit Diamorphin (Heroin) versorgt, um eine stabile Entzugstherapie zu ermöglichen. Viele Karlsruher Politiker demonstrierten Ärger und Unverständnis über diese Nachricht.

Nachdem der Bund sich weiterhin weigere, die kontrollierte Heroinabgabe in die Regelversorgung aufzunehmen und aus der Finanzierung aussteige, könne die Stadt Karlsruhe nicht weiter die Kosten des Programms, in dem momentan 18 Süchtige behandelt werden tragen, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme der Stadt. Man wisse um den "großen persönlichen Einsatz", den Mitarbeiter der AWO erbracht hätten, betonte Denecken.

SPD fordert Intervention Oettingers

Die Stadt Karlsruhe habe das Projekt bisher mit rund 2,5 Millionen Euro gefördert, da sich die Gesetzgeber in Berlin allerdings nicht zu einer Überführung des Modellversuchs in die Regelversorgung hätten durchringen können, sei man mit den nun jährlich zu erbringenden 360.000 Euro für das Heroinprogramm aller Voraussicht nach überfordert. Man wolle jedoch in einem Gespräch mit der AWO vor allem den bisherigen Patienten "Perspektiven für die Zukunft eröffnen". Der CDU Sozialausschuss (CDA) gab bekannt, man bedauere trotz einer "zuerst ablehnenden Haltung" den Ausstieg aus dem Programm. Man hoffe auf eine unterstützende gesetzliche Regelung in Baden-Württemberg und eine finanzielle Förderung des Projekts durch die Landesregierung.

Die Verantwortung für den drohenden Abbruch des Projekts sieht die Karlsruher SPD klar bei der CDU. Fraktionsvize Nils Schmid und der Karlsruher Landtagsabgeordnete Johannes Jung forderten Ministerpräsident Günther Oettinger in einem Brief auf, die "Blockade" der CDU-Bundestagsfraktion gegen eine gesetzliche Regelung aufzuheben. "Der Ministerpräsident kann zeigen, was er als Bundespolitiker drauf hat", so die beiden SPD-Politiker. Damit könne er auch der baden-württembergischen Sozialministerin Monika Stolz "die Krokodilstränen ersparen", die sie über das durch ihre Passivität gescheiterte Programm vergieße. Stolz hatte in Stuttgart Bedauern über das Aus des Karlsruher Heroinprojekts geäußert und die Verantwortung hierfür beim Bundestag gesehen. Dies wollen die zwei Briefschreiber aus dem SPD-Lager aber nicht gelten lassen und fordern Oettinger auf, sich dafür einzusetzen, dass das "unbestritten erfolgreiche Projekt" Karlsruhe und den anderen Städten erhalten bleibe und die Behandelten nicht in eine "menschenunwürdige Existenz zurückgestoßen" würden.

"Betonköpfe" für "Sabotage" verantwortlich?

SPD-Fraktionsvorsitzende Doris Baitinger kritisierte dazu die Entscheidung der Stadtverwaltung, "ohne vorherige Rücksprache mit den Gemeinderatsfraktionen [...] das Ende des finanziellen Engagements der Stadt zum 31. Dezember 2008 zu verkünden." Ein Weiterführen des Projekts sei bei entsprechenden gesetzlichen Regelungen durchaus möglich, besitze die Stadt doch bis 2010 noch eine Ausnahmegenehmigung. Parteigenosse und Bundestagsabgeordneter Johannes Jung sieht in der Debatte eine Frage "um Leben und Tod". Er bezichtigte in einer Pressemitteilung vor allem die "Betonköpfe" Volker Kauder und Annette Widmann-Mauz der "Sabotage an diesem Projekt". Auch mit der städtischen Finanzpolitik ging er hart ins Gericht: Es zeige "perverse Züge", wenn Millionen für VIP-Parkplätze an einem Fußballstadion, aber keine ausreichenden finanziellen Hilfen für "18 Schwerkranke" in Aussicht gestellt würden.

Als "weder ethisch noch finanziell verantwortbar" bezeichnete die Karlsruher Linke die Absage der Bundesregierung an das Heroinmodell. Stadtrat Niko Fostiropoulos hofft, dass der Gemeinderat nun einer weiteren Finanzierung des Projekts zustimme und die Abhängigen "nicht wieder in die Beschaffungskriminalität auf der Straße" zwinge. Barbara Kofler, Fraktionsgeshäftsführerin der Karlsruher FDP wunderte sich über die Erkenntnis der Stadtverwaltung, "dass für eine Fortführung 'keine politische Mehrheit zu finden sei'". Bisher hätte sich kein Ausschuss der Fragestellung angenommen. Man solle jedoch nicht "überstürzt" handeln, sondern nach der Sommerpause den Jugendhilfe- und den Sozialausschuss mit der Thematik betrauen

"Verheerende Botschaft"

Die Grünen schließlich sehen in der Mitteilung vom drohenden Ende des Modellversuchs eine "verheerende Botschaft" für die Heroinabhängigen und letztlich auch für die AWO, so Stadtrat Michael Borner. Man müsse beachten, dass "die sozialen und gesundheitlichen Folgekosten einer unterlassenen heroingestützten Therapie allemal teuer als die Hilfsangebote" seien. Verantwortlich für das Aus sei eine "unsägliche Blockadepolitik" der CDU-Fraktion in Land- und Bundestag. "Ideologische Machtspiele werden hier auf dem Rücken der Schwerstabhängigen ausgetragen", kritisierte Brigitte Lösch, sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag.

Weitere Solidaritätsbekundungen erhält die AWO durch die Bundesdrogenbeautragte Sabine Bätzing, die die Entscheidung der Stadt als "ethisch äußerst problematisch" bezeichnete und am heutigen Mittwoch, 30. Juli, um 13.30 Uhr die Karlsruher AWO-Ambulanz in der Ritterstraße 9 besucht. Die Diamorphinbehandlung greife bei Süchtigen, "bei denen andere Hilfen versagt haben", so die AWO. Inwieweit ein Transfer der momentan behandelten 18 Patienten in ein Methadonprogramm möglich sei, sei äußerst fraglich. Auch müsse man den Stopp des Modellversuchs in anderen Städten befürchten, da auch diese mit finanziellen Problemen und rechtlichen Regelungen zu kämpfen hätten. (ps/pas)

 

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